Es gibt Momente, die alles verändern.
Der erste Blick auf das eigene Kind. Ein winziger Mensch, vollkommen hilflos, aber voller Vertrauen. Keine Worte sind nötig, keine Anleitungen, kein theoretisches Wissen. Etwas geschieht auf einer tieferen Ebene.
Lange galt der mütterliche Instinkt als selbstverständlich – als etwas, das Frauen von Natur aus besitzen, während Väter sich erst „hineinfinden“ müssen. Die Annahme, dass Bindung bei Männern auf reinem Willen oder Übung basiert, hält sich hartnäckig. Doch die Wissenschaft zeichnet ein anderes Bild. Sogar das ganze Konzept vom Mutterinstinkt wird nunmehr in Frage gestellt. („Die Erzählung vom Mutterinstinkt ist Quatsch“ schreiben z.B. Annika Rösler und Evelyn Höllrigl Tschaikner.)
Väterlichkeit ist biologisch verankert
Forschung der letzten Jahre macht deutlich: Die Vorstellung, dass nur Mütter einen natürlichen Instinkt für ihr Kind haben, ist überholt. Väter sind keine bloßen „Mithelfer“, sondern tief biologisch mit ihren Kindern verbunden. Ihr Körper reagiert auf das Baby, nicht erst nach Monaten oder Jahren, sondern vom ersten Moment an.
Hormone spielen dabei eine Schlüsselrolle. Oxytocin, oft als „Bindungshormon“ bezeichnet, steigt bei Vätern, die sich um ihr Kind kümmern. Es fördert emotionale Nähe, Zärtlichkeit und das Bedürfnis, das Baby zu schützen¹. Gleichzeitig sinkt der Testosteronspiegel – ein Mechanismus, der dabei hilft, Konkurrenzdenken und Aggression zurückzunehmen und stattdessen Fürsorge und Geduld zu stärken². Auch Prolaktin, das Hormon, das oft mit Stillen in Verbindung gebracht wird, steigt bei engagierten Vätern an. Es macht sie sensibler für die Bedürfnisse ihres Kindes, fördert feinfühliges Verhalten und stärkt die intuitive Reaktion³.
Aber es ist nicht nur eine Frage der Chemie. Auch das Gehirn verändert sich. Neurowissenschaftliche Untersuchungen zeigen, dass sich bei Vätern, die aktiv Zeit mit ihren Kindern verbringen, die Strukturen im Gehirn messbar anpassen. Das Belohnungssystem wird aktiver, die emotionale Verarbeitung verstärkt sich, und die Bereiche, die für Empathie zuständig sind, wachsen⁴. Die Reaktionen im Gehirn eines engagierten Vaters ähneln denen von Müttern, die sich um ihr Baby kümmern.
Das bedeutet: Väterlichkeit ist keine soziale Konstruktion. Sie ist biologisch verankert. Sie entsteht nicht erst durch Übung oder Routine, sondern ist von Anfang an da. Je mehr sich ein Vater kümmert, desto stärker entfaltet sich sein Instinkt. Nicht, weil er ihn sich „antrainiert“, sondern weil sein Körper darauf reagiert – tief, unbewusst, kraftvoll.
Die Wechselwirkung zwischen Vater und Kind
Diese Veränderungen geschehen nicht im luftleeren Raum. Sie sind das Ergebnis einer Wechselwirkung. Ein Kind kommt nicht mit einer fertigen Beziehung zu seinen Eltern auf die Welt – sie entsteht im Kontakt, in den Blicken, in den Berührungen, im Zusammensein, auch in den 9 Monaten „Vorsprung“, den Mütter üblicherweise haben. Ein Baby sucht Nähe, gibt Signale, kommuniziert auf eine ganz eigene Art. Und etwas in dem Erwachsenen antwortet, oft ohne bewusste Entscheidung.
Dieses „Antworten“ ist nicht nur erlernt, sondern in uns angelegt. Es gibt eine tiefe Verbindung zwischen Eltern und Kind, die über bloßes Verantwortungsgefühl hinausgeht. Sie ist in den Zellen, im Nervensystem, in den feinsten Schichten des Bewusstseins verankert.
Doch gesellschaftlich wird Vaterschaft noch immer oft als Ergänzung betrachtet. Väter sind diejenigen, die „helfen“, die „unterstützen“, die „mitmachen“. Mütter gelten als die Hauptbezugsperson, als die emotionale Konstante. Aber was, wenn diese Annahme nicht nur falsch, sondern auch schädlich ist?
Wenn ein Vater nicht darauf warten muss, dass sich eine Bindung einstellt, sondern wenn sie längst da ist – und nur gelebt werden muss? Wenn Vaterschaft nicht erst dann beginnt, wenn das Kind älter wird, sondern vom ersten Moment an tief im Körper spürbar ist? Wenn die Fähigkeit, intuitiv zu handeln, nie gefehlt hat, sondern nur nie als selbstverständlich angesehen wurde?
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Es braucht eine neue Perspektive auf Vaterschaft
Die Wissenschaft liefert eindeutige Antworten. Väter sind biologisch dafür gemacht, sich um ihre Kinder zu kümmern. Sie sind keine „zweiten Elternteile“, keine Option, keine Ergänzung. Sie sind elementar. Für die Entwicklung des Kindes, aber auch für sich selbst.
Denn Vaterschaft verändert. Nicht nur den Alltag, nicht nur die Prioritäten, sondern den Menschen selbst. Sie formt, schärft, lässt fühlen. Sie weckt Seiten, die vielleicht vorher nicht sichtbar waren. Und sie verbindet – auf eine Weise, die tiefer geht als jede bewusste Entscheidung.
Es ist an der Zeit, Väterlichkeit nicht mehr als etwas zu sehen, das gelernt werden muss, sondern als etwas, das da ist. Nicht jeder Vater spürt es sofort. Nicht jeder erlebt diesen Instinkt von Anfang an als überwältigend. Aber er ist da – und er wächst mit jeder Begegnung.
Vielleicht ist es genau das, was sich ändern muss: Die Vorstellung, dass Männer erst durch Übung zu Vätern werden. Vielleicht werden sie es nicht mit der Zeit. Vielleicht sind sie es längst.
Und vielleicht reicht manchmal schon ein Blick in die Augen eines Kindes, um das zu erkennen.
Quellen
- Feldman, R., Gordon, I., Schneiderman, I., Weisman, O., & Zagoory-Sharon, O. (2010). „Oxytocin and the development of parenting in humans.“ Biological Psychiatry, 68(4), 377-382.
- Gettler, L. T., McDade, T. W., Feranil, A. B., & Kuzawa, C. W. (2011). „Longitudinal evidence that fatherhood decreases testosterone in human males.“ Proceedings of the National Academy of Sciences, 108(39), 16194-16199.
- Storey, A. E., Walsh, C. J., Quinton, R. L., & Wynne-Edwards, K. E. (2000). „Hormonal correlates of paternal responsiveness in new and expectant fathers.“ Evolution and Human Behavior, 21(2), 79-95.
- Abraham, E., Hendler, T., Shapira-Lichter, I., Kanat-Maymon, Y., Zagoory-Sharon, O., & Feldman, R. (2014). „Father’s brain is sensitive to childcare experiences.“ Proceedings of the National Academy of Sciences, 111(27), 9792-9797.